Mentalität

Mentalität ist ein schillernder Begriff, der zur Bezeichnung kollektiver Bewusstseinszustände verwendet wird. Als solcher ist er einerseits Begriff zur Beschreibung vermeintlicher historischer Sachverhalte, andererseits Bezeichnung für eine Kategorie, die als zentrales Analyseinstrument zur Generierung historischer Kausalitäten eingesetzt wird. In den 1980er und frühen 1990er Jahren war er ein weitverbreitetes Begriffswerkzeug. Er blieb aber in beiden Begriffsverwendungen umstritten, da weder die Sache eines kollektiven Bewusstseins hinreichend nachzuweisen, noch das Kategoriale begrifflich ausreichend scharf zu definieren war. Mittlerweile hat er seine Bedeutung in den theoretischen Diskursen verloren. Er wird aber im Kontext der aktuellen Kulturgeschichte häufig noch als Leitbegriff verwendet.

Stefan Haas

Mentalität als Kategorie

Literatur zu Mentalität und Mentalitätsgeschichte

Volker Sellin: Mentalität und Mentalitätsgeschichte, in: HZ 241 (1985), S. 555-598. Referenztext für die erste Hochphase der Auseinandersetzung der deutschen Geschichtswissenschaft mit der Mentalitätsgeschichte.

Peter Schöttler: Mentalitäten, Ideologien, Diskurse. Zur sozialgeschichtlichen Thematisierung der dritten Ebene, in: Alf Lüdtke (Hg.), Alltagsgeschichte. zur Rekonstruktion historischer Erfahrungen und Lebensweisen, Frankfurt/M./New York 1989, S. 85-136. Sehr gute Einführung in die Thematik.

Annette Riecks: Französische Sozial- und Mentalitätsgeschichte. Ein Forschungsbericht, Altenberge 1989 Mittlerweile überholt, gute deskriptive Zusammenfassung ohne eigenes analytisches Potential

Jean-Michel Thiriet: Methoden der Mentalitätsforschung in der französischen Sozialgeschichte, in: Ethnologia Europea 11 (1980), S. 208-225 Sein Anliegen ist es nicht, Mentalitätsgeschichte theoretisch zu diskutieren. Demonstriert an einigen Beispielen zu Tod und Liebe die Vorgehensweisen, bezeichnet sich als Nichtfachmann, der nur zufälligerweise einen kleinen Aufsatz zur Mentalität verfasst hat

Ernst Hinrichs: Zum Stand der historischen Mentalitätsforschung in Deutschland, in: Ethnologia Europea 11 (1980), S. 226-233 Formuliert knapp Mentalitätsgeschichte als neue Form der Geschichtswissenschaft, deren Anspruch es ist, eine neue Form der Geschichtswissenschaft und nicht nur einfach eine neue Teildisziplin zu sein (227)

Rolf Reichardt: Für eine Konzeptualisierung der Mentalitätshistorie, in: Ethnologia Europea 11 (1980), S. 234-241. Tritt für die Eigenständigkeit der Mentalitätsgeschichte gegenüber einer materialistisch orientierten Geschichte der sozialen Strukturen ein. Spricht sich gegen eine reine Quantifizierung der Mentalitätsgeschichte aus. Grenzt diese gegenüber der traditionellen Ideengeschichte im Sinne Meineckes ab. Ideen galten dort als personengebunden und unabhängig von der materiellen Wirklichkeit. Mentalität hingegen wird von Reichardt als „Soziales Wissen“ thematisiert (235). Zur begrifflichen Konzipierung sucht er Anschluss an die phänomenologische Soziologie von Berger/Luckmann und weitere Ansätze, die um die Begriffe „Alltagswelt“ und den von Husserl stammenden Begriff der „Lebenswelt“ kreisen.

Sabine Jöckel: Die „histoire des mentalités“: Baustein einer historisch-soziologischen Literaturwissenschaft, in: Romanistische Zeitschrift für Literaturgeschichte 11 (1987), S.146-173 Sucht die Verbindung der Mentalitätsgeschichte zu einer historisch-soziologischen Ausrichtung der Literaturwissenschaft im Sinne Erich Köhlers

Ulrich Raulff: Die Annales E.S.C. und die Geschichte der Mentalitäten, in: Gerd Jüttemann (Hg.), Die Geschichtlichkeit des Seelischen, ....., 1986, S. 145-166 Ergänzen

Patrick H. Hutton: The History of mentalities; the new map of cultural history, in: History and Theory 20 (1981), dt. In Raulff, Vom Umschreiben der Geschichte ... 1986. Die Mentalitätsgeschichte führe die klassische Kulturgeschichte fort, untersuche aber nicht wie diese primär die Eliten, sondern breitere Bevölkerungsgruppen. Im Mittelpunkt stehen nicht mehr die Weltanschauungen, sondern die Strukturen, durch die solche Anschauungen vermittelt werden. Strukturen meinen hier jene Formen, durch die mentale Tätigkeit geregelt werden wie Bilder, Codes, Gesten, Rituale oder Bräuche. Huttons Arbeiten verweisen hier auf die breiten Versuche in den 1970er und 1980er Jahren, die traditionelle Unterscheidung von Eliten- und Alltagskultur zu überwinden.