|
Alltag als Kategorie II
Im Kontext der Alltagsgeschichte der 1980er Jahre sind verschiedene Ansätze entwickelt worden, den Begriff des Alltags zu formulieren. Mit dem Begriff der ‚Lebenswelt’ schloß man an die phänomenologische Philosophie Edmund Husserls an. Die Ethnomethodologie steht stellvertretend für die zunehmende Orientierung an ethnologischen Forschungen, deren Adaption für die Geschichtswissenschaft eines der großen Verdienste der Alltagsgeschichte war. Im Begriff der Historischen Anthropologie wird bis heute Alltagsgeschichte fortgeführt. Ein weiteres zentrales Stichwort in diesem Kontext war die sogenannte „Geschichte von unten“, in der vor Ort in Form von Bürgerintitiatven und lokalen Arbeitsgruppen die Geschichte der eigenen Lebenswelt in einer Kooperation von Fachleuten und Einwohnern erforscht wurde. Bekanntestes Beispiel dieser Bewegung ist das „Hochlarmaker Lesebuch“. In diesem ist die Geschichte eines Industrieorts dargestellt worden. Ähnlich funktionierte die in Skandinavien entstandene „Dig where you stand“ (Grabe-wo-du-stehst) Bewegung. Weitere, zu ihrer Zeit intensiv diskutierten Definitionsversuche sahen im Alltag eine besondere Form historischer Zeit, insofern sie als kleinste permanente Repetitionseinheit gelesen werden konnte (Peter Borscheid) oder - im Rahmen der neomarxistischen Theorie - eine notwendige Rekreationsphase im Produktionsprozeß (Agnes Heller). Zur Mitte der 1990er Jahre war die Alltagsgeschichte in der Kulturgeschichte aufgegangen, in deren Kontext Folgen und Nachwirken der Alltagsgeschichte diskutiert werden muss.
Stefan Haas
|
|
|