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Forschungsstand in einem Teilbereich wird erweitert
Die wohl gängigste Legitimationsstrategie einer thematisch begrenzt konzipierten Forschungsarbeit ist die „Erweiterung des Wissens in einem Teilsegment einer Subdisziplin“. Diese setzt genaue Analysen der Forschungsgeschichte und des Forschungsstandes zum Thema voraus.
Die Begründung für den Sinn der vorgelegten Forschungsarbeit kann dabei quantitativ wie qualitativ verlaufen. Quantitativ wird ein spezifisches Detail als noch nicht bearbeitet herausgestellt. Beispielsweise kann man sagen, man wisse, wie die Industrialisierung in Dortmund, Essen oder Köln verlaufen sei, man kenne aber noch nicht den Ablauf in Soest. Oder man kenne von der Soester Geschichte politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche Entwicklungen, aber eben nicht die kulturellen. Dieses Argumentationsmuster nimmt jede Forschung für wahr, die nach quellenkritischen Standpunkten sachlich und rational verfasst wurde. Streit und Auseinandersetzung sind ihr relativ fremd. Addition von Forschungswissen ist ihr Fortschrittsprinzip in diesem Sinn ist das Wissen, das hier produziert wird, nicht primär durch qualitative Kriterien wie wichtiger oder unwichtiger klassifiziert, sondern durch das quantitative Anwachsen des Wissens im Allgemeinen.
Eine qualitative Argumentation stellt nicht das Was, sondern das Wie in den Vordergrund. Beispielsweise weist man darauf hin, dass die Geschichte der preußischen Reformen im frühen 19. Jahrhundert bereits historistisch oder historisch-sozialwissenschaftlich bearbeitet wurde, aber nicht systemtheoretisch. In der Regel genügt hier der bloße Hinweis, dass etwas noch nicht bearbeitet wurde, nicht. Man muss zeigen, was dieser Weg an Neuem bringt. Das setzt unvermeidlich eine (selbst-)kritische Diskussion anderer Ansätze voraus. Für das oben genannte Beispiel aus dem Rahmen der Stadt- und Industrialisierungsgeschichte bedeutet dies, dass man zeigen müsste, wie man anhand von Soest als Fallbeispiel einen neuen Typus von Industrialisierung herausarbeiten kann, der die bisherige Forschung modifiziert.
Quantitative Erweiterungen werden in der Geschichtswissenschaft geduldet, solange man Wissen als Summe von Einzelwissen begreift. Wird aber Wissen als strukturelles Wissen begriffen, bei dem ein Wissen um Strukturen dem Wissen um Fakten und Details vorgelagert wird, dominiert die qualitativ ausgerichtete Sinnstrategie individueller Forschungsvorhaben. Besonders im Kontext konstruktivistischer Ansätze werden solche Arbeiten bevorzugt, die nicht nur ein neues Fakten- oder Strukturwissen hervorbringen, sondern einen neuen Interpretationstypus vorschlagen, mithin ein neues Methoden- oder Theorienwissen entwickeln.
Stefan Haas
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