Dispositivtheorien der Medien I

„The medium is the message“ – mit dieser prägnanten Formel prägte der kanadische Medienphilosoph Marshall McLuhan die Kernaussage einer ganzen Forschungsrichtung: Nicht der Inhalt von Medienangeboten ist die entscheidende Ursache für weitreichende gesellschaftliche Veränderungen, sondern die spezifische Medientechnologie. Den Forschungen McLuhans und der so genannten Toronto School of Communications haben sich in den letzten Jahren weltweit immer mehr Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen angeschlossen, ihre Forschungen werden unter dem Label „Mediumstheorie“ (das Medium als Kategorie von Wirklichkeitswahrnehmung und –konstruktion) bzw. „Dispositivtheorien“ subsumiert, da sie das technisch-mediale Dispositiv, den Zusammenhang von Technik und Kultur, in der diese entsteht, in den Mittelpunkt rücken.

Eric A. Havelock

Der US-amerikanische Philologe Eric A. Havelock (1903-1988) untersucht in seinem Hauptwerk Preface to Plato (1963) die mentalen Strukturen oralen Denkens, d.h. er beschäftigt sich mit der Frage: Wie denken präliterale Kulturen, also Kulturen, die die Schrift noch nicht kennen. Havelock geht davon aus, dass das gesamte Wissen dieser Kulturen narrativ übermittel werden musste; Informationen, die für eine Gesellschaft relevant erschienen, wurden mittels Erzählungen (z.B. Homers Ilias) intergenerationell weitergegeben. Dem Dichter kommt in diesem Denkmodell eine sehr bedeutende Funktion zu: er ist Träger und Garant des kulturellen Gedächtnisses einer Gesellschaft.

Orale Kulturen sind deshalb durch ein Fehlen an Abstraktionsfähigkeit und kausalem Denken sowie von Objektivität und kritischer Distanz gekennzeichnet. Für Havelock folgt daraus als notwendige Konsequenz, dass große technische Leistungen ausbleiben mussten. Stattdessen operierten oral geprägte Gesellschaften mit einem „Deus ex Machina“-Prinzip, seien geprägt von Bildhaftigkeit und Emotionalität. Diese weitreichenden Folgerungen sind heute sehr umstritten und werden als eurozentrisch kritisiert.

Die Kernaussage Havelocks, dass das Denken von Kulturen mediengeprägt ist, hat jedoch Beachtung gefunden und ist Grundlage weiterer Forschungen zu diesem Themenkomplex.

Harold A. Innis

Harold Adam Innis (1894-1952) gilt als geistiger Vater der Toronto Scholl of Communications. Innis wird erst seit kurzer Zeit als eigenständiger Autor im deutschsprachigen Raum rezipiert, lange Zeit galt er als Ideengeber für Marshall McLuhan.

In The bias of communication (1951) entwickelt Innis die These, dass die politische Organisation von Gesellschaften entscheidend von der jeweils dominanten Medientechnologie abhängt. Die räumliche Expansion sowie die zeitliche Stabilisierung von Herrschaft korreliert laut Innis mit dem Einsatz bestimmter Kommunikationsmedien. Medien sind in dieser Theorie alle Mittel zur Verbreitung von Kommunikation. So unterscheidet er zwischen „harten“ (z.B. Steintafeln) und „leichten“ (z.B. Papier, Kurzwelle) Medien. „Harte“ Medien zeichnen sich durch ihre Zeitwirkung aus, d.h. sie garantieren zwar ein hohes Maß an zeitlicher Kontinuität, sind aber kaum über größere Distanzen zu transportieren und ihre Inhalte damit auch schwer zu verbreiten. Ein Beispiel dafür ist der altägyptische Staat zur pharaonischen Zeit, dessen Rechtsetzung und Verwaltung mittels in Stein gemeißelter Hieroglyphen operierten. „Leichten“ Medien hingegen schreibt Innis eine Raumwirkung zu. Papier wie auch die Funktechnologie sind in der Lage, weite Entfernungen leicht zu überwinden, sie sind flexibel und schnell – die Erschließung und Beherrschung großer geographischer Räume wird so möglich. Universalgeschichtlich konzipiert interpretiert Innis in späteren Epochen Reformation, die Bildung des modernen Nationalstaates und das Entstehen bürgerlicher Gesellschaften als Resultate der Ablösung der Manuskriptkultur durch den Buchdruck: Innis konzeptualisiert gesellschaftlichen Wandel als medientechnologisch induziert.

Auch wenn Innis Forschungen als anschlussfähig angesehen werden (McLuhan, Giesecke), richtet sich Kritik vor allem gegen die große Reichweite seiner Theorie, die oft spekulativ bleibt. Neuere historische Einzeluntersuchungen zeigen zudem, dass im Detail nicht von einem technologischen Determinismus, sondern von Ungleichzeitigkeiten und Ko-Evolutionen ausgegangen werden muss.

Walter J. Ong

Walter Jackson Ong (*1912) untersucht anschließend an die Arbeiten Havelocks die Mentalität oraler Kulturen. Der US-amerikanische Literaturwissenschaftler und Medientheoretiker interessiert sich für die spezifische Artikulationsweise und das damit verbundene Denken dieser Kulturen.

Der Sprechstil oraler Kulturen ist gekennzeichnet durch additiven Satzbau, Klischees und große Redundanz. Aus der strukturellen Notwendigkeit zur Wiederholung, um erinnern zu können, folgert Ong, dass orale Kulturen eine konservative (traditionalistische) Denkweise ausbilden. Ihrem Denken fehlten analytische Kategorien sowie die Fähigkeit zur Abstraktion und Klassifikation, d.h. orale Kulturen bildeten vor allem ein handlungsrelevantes, lebensweltliches Denken (operatives Wissen) heraus. Mit der Etablierung von Schriftlichkeit werde das Gedächtnis schließlich so weit entlastet, dass sich ein abstraktes, distanzierendes Denken herausbilden könne. Literale Gesellschaften neigen laut Ong im Gegensatz zu oralen Kulturen zu Innovationsbereitschaft. Für die modernen, elektronischen Gesellschaften konstatiert Ong eine sekundäre Oralität, da Schrifttechniken nun wieder die Funktion gesprochener übernommen hätten, z.B. in Chatrooms. Die Chatpartner operierten in Schrift mit den Strategien mündlicher Ordnungen, so kommunizierten sie beispielsweise in Echtzeit.

Ongs Untersuchungen zu Oralität und Literalität können folgendermaßen zusammengefasst werden: Die Welt- und Lebensauffassung ist immer abhängig vom Medium des kommunikativen Austausches.

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