Dispositivtheorien der Medien II

Marshall McLuhan

Als Fußnote zu den Arbeiten seines Mentors Harold A. Innis wollte der kanadische Medientheoretiker Herbert Marshall McLuhan (1911-1980) sein Werk verstanden wissen. Während die Arbeiten Innis indes bis weit in 1990er Jahre kaum rezipiert wurden, genoss und genießt McLuhan breite Popularität – auch außerhalb der Wissenschaft. Seine These, dass das Medium die Botschaft sei, ist mittlerweile in den alltäglichen Sprachgebrauch übergangen.

The medium is the message. Ebenso wie Innis geht McLuhan davon aus, dass nicht die Medieninhalte, sondern die Medientechnologien Auslöser starker gesellschaftlicher Veränderungen sind. Oder anders formuliert: Nicht durch die Rezeption des Inhalts, sondern durch die Anwendung der Technik erzeugen Medien Wirkungen. In „The Gutenberg-Galaxy“ (1962) und „Understanding Media“ (1964) entwickelte McLuhan das Konzept einer Gesellschaftsgeschichte als Mediengeschichte. So unterscheidet er vier, durch die jeweils dominante Medientechnologie geprägte Gesellschaftsformen: eine durch gesprochene Sprache als Leitmedium charakterisierte Stammeskultur, eine durch die Schrift geprägte Manuskriptkultur sowie die durch den Buchdruck und die elektronischen Medien konstituierten modernen Gesellschaften. Der Buchdruck führt zur Herausbildung der rationalen Wissenschaften mit ihrem „Diktat der Logik“, zur Bildung von Nationalstaaten und zur Demokratisierung, so McLuhan. Die elektronischen Medien hingegen ermöglichen uns weltweite und synchrone Kommunikation, die Dimensionen von Raum und Zeit verlieren ihre Bedeutung und lassen die Welt zum Dorf zusammenschrumpfen (global village).

Grundlage seiner Arbeiten ist ein sehr weiter Medienbegriff: Medien sind Ausweitungen des menschlichen Körpers (extensions of man). Ein solches Verständnis von Medien als Möglichkeit der Steigerung von Sinneswahrnehmung und Geschwindigkeit bedingt, dass auch Stiefel, Flugzeuge oder Kleidung als Medien gedacht werden können. McLuhan unterscheidet in diesem Zusammenhang zwei Arten von Medien: heiße und kalte Medien. Heiße Medien stimulieren einen Sinn mit einer großen Menge an Material (z.B. Foto, Film), kalte Medien dagegen verlangen aktives Konstruieren des Mediennutzers, da sie qualitativ wie quantitativ weniger Informationen liefern (z.B. Telefon, Karikatur).

McLuhans Werke entziehen sich bewusst den Gütekriterien der vorherrschenden Wissenschaftsauffassung. Konsequent seinem Argument folgend, dass mit der Ablösung des Leitmediums Buch auch die damit verknüpften wissenschaftlichen Methoden der Linearität, Folgerichtigkeit und Logik keine Gültigkeit mehr besitzen, präsentiert McLuhan in seinen Arbeiten ein neues mosaikartiges Denken, das sich am Leitmedium des 20. Jahrhunderts, der Elektrizität, ausrichtet. Während seine Bewunderer McLuhan deshalb als Visionär stilisieren, wird er von Kritikern als spekulativ und unwissenschaftlich abgelehnt.

Michael Giesecke

Michael Giesecke kombiniert in seinem Ansatz empirische historische Forschung mit einer systemtheoretisch ausgerichteten Medientheorie zur Untersuchung des Übergangs von der Manuskript- zur Buchkultur. Medienrevolutionen konzeptualisiert er als Katalysator kulturellen Wandels, da mit der Einführung neuer Medien menschliche Fähigkeiten sowie soziale Institutionen durch Technologien substituiert werden.

In Der Buchdruck in der frühen Neuzeit (1991) entwickelt Giesecke die These, dass die Implementation neuer Medientechnologien in die soziale Umwelt über spezifische Legitimationsstrategien geleistet wird So erhöht die Verknüpfung mit Utopien und gesellschaftlichen Wünschen deren soziale Akzeptanz. Die Durchsetzung des Buchdrucks im 15. und 16. Jahrhundert hängt für Giesecke entscheidend von der damals existierenden Vision einer nationalen Kommunikationsgemeinschaft sowie der Forderung nach einer Demokratisierung des Wissens ab.

Viele angestammte Systeme verloren in der frühen Neuzeit ihre sinnstiftende Kraft. Die Idee einer nationalen Kommunikationsgemeinschaft aggregiert die aufkommenden Sehnsüchte nach Geborgenheit und Identität und führt so zur Aufladung der kommunikativen Netze mit nationalen Ideen und verhilft dem Buchdruck zum Siegeszug. Das Buchsystem wird als selbstregulierend konzeptualisiert: Über Zugang zum Markt kann sich jeder an dieses neue Netz als Produzent bzw. Rezipient anschließen, Wissen und Information werden zur Ware (Kommerzialisierung der Kommunikation). Die mit der Drucktechnik verbundene massenhafte Produktion von Büchern versprach somit die Befreiung aus Vormundschaft der Eliten, regelte sich nun der Zugang zu Informationsspeichern über Geld und Bildung und nicht über Kontrolle einer klerikalen Elite, die für die Produktion und Distribution von Manuskripten zuständig war.

Die Folgen für die gesellschaftliche, politische und ökonomische Organisation waren laut Giesecke weitereichend. Ein nahezu unbegrenzter Adressatenkreis verlangte ein hohes Generalisierungsniveau, d.h. es kommt zur notwendigen Ausbildung einer orthographisch normierten Standardsprache. Offenbarte sich Wissen den mittelalterlichen Autoren via Engeln, Tauben oder Träumen (Gott als großer Sender), so wird der Autor der Neuzeit selbst zum Schöpfer von Wissen – das Autorensubjekt ist „geboren“. Bücher werden als selbständige Informationsmedien verstanden, nicht länger als Gedächtnisspeicher für mündliche Informationen, d.h. die Schrift löste sich aus ihrer Rolle der „Magd der Rede“. Resümiert man Gieseckes Überlegungen zu den Folgen der Einführung einer neuen Medientechnologie, so kann man sagen, dass die Umschichtung überkommener Kommunikationsverhältnisse durch die Einführung des Buchdrucks in der frühen Neuzeit zur Abwertung oraler Kommunikation, zum Siegeszug der visuellen Wahrnehmung und zur Ablösung diskursiver Wahrheitskriterien führte.

Verallgemeinert man seine Thesen, so bleibt ein Modell des Medienwandels, das auch auf andere Epochen übertragbar scheint.

André Donk