Kategorie Geschlecht - Das sex-gender-System
Die ‚Erfindung’ des sozialen Geschlechts und seine Abgrenzung vom biologischen Geschlecht verfolgte das Ziel einer Unterscheidung der kulturell produzierten Geschlechterdifferenz von der biologisch bestimmten Geschlechtlichkeit. Auf diese Weise ließ sich betonen, dass das hierarchische Verhältnis der Geschlechter nicht auf biologischen, sondern gesellschaftlichen und kulturellen Ursachen begründet ist. Die kategoriale Abgrenzung des sozialen vom biologischen Geschlecht richtete sich damit zunächst gegen biologische Determinismen, gegen solche Erklärungsmuster also, die die Hierarchien zwischen den Geschlechtern aus der ‚natürlichen’ Ausstattung von Frauen und Männern mit bestimmten Chromosomen, Hormonen oder Geschlechtsorganen herleiten.
Die Einführung des sex-gender-Systems erlaubte überhaupt erst eine Historisierung der Geschlechterdifferenz und wurde somit der Erkenntnis gerecht, dass Frauen zwar in den unterschiedlichen historischen und gegenwärtigen Gesellschaften durchweg über weniger Macht zu verfügen scheinen als Männer, dass diese generelle Benachteiligung aber durchaus sehr unterschiedliche Formen annimmt.
Die Etablierung der Analysekategorie Geschlecht ging mit der Ausblendung des biologischen Geschlechts einher, bestritt aber keinesfalls grundsätzlich biologische Differenzen und somit auch nicht die Zuständigkeit der naturwissenschaftlichen Disziplinen für deren Erforschung. Sex erscheint somit als naturwissenschaftlich zu untersuchende anthropologische Konstante, aber auch als „Vorbedingung für die Entstehung bestimmter kulturübergreifender Gemeinsamkeiten von gender, in die sich dann die Unterschiede mischen.“ (Nicholson, 190)
Das sex-gender-System erfuhr Ende der 1990er Jahre Kritik hinsichtlich seiner Prämissen: Zum einen wurde die genannte „biologische Fundierung“ (Nicholson) des gender-Begriffes kritisiert, welche letztlich eine Aufrechterhaltung der binären Opposition von männlich und weiblich bedinge. Zum anderen folge die Unterscheidung von sex und gender der traditionellen Dichotomie von Natur und Kultur, welche poststrukturalistische Ansätze als ein zentrales hierarchisierendes Differenzkriterium ausmachen.
Kerstin Ciba
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