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Die Institutionalisierung der Annales-Schule
Die Gründung der Zeitschrift 'Annales d' histoire économique et sociale' im Jahre 1929 wird zuweilen als der Beginn einer neuen Zeitrechnung der Geschichtsschreibung betrachtet. Herausgegeben wurde sie von den Historikern Marc Bloch und Lucien Febvre, die zu dieser Zeit gemeinsam in Straßburg arbeiteten. Die Annales sind im Gegensatz zu vielen anderen Fachzeitschriften nicht primär thematisch oder epochal, sondern programmatisch definiert. Sie integrierte eine Fülle an Ansätzen aus der französischen Geisteswissenschaft, aber auch aus englischen, deutschen oder amerikanischen. Hier sei nur der Einfluss des modernen interdisziplinären Arbeitens an der École Normale Superieure, an der Bloch und Febvre studierten, genannt. Namen wie Paul Vidal de la Blache, Émile Durkheim, Lucien Lévy-Bruhl, Émile Mâle und Antoine Meillet, die das Denken der Annales-Historiker bis heute beeinflussen, lehrten dort. Eine Vorbildfunktion in dem Versuch, eine breite Synthese der sich seit der Jahrhundertwende entwickelnden neuen Ansätze in der Geschichtswissenschaft zu schaffen, kam Henri Berrs Zeitschrift 'Revue de synthèse historique' zu. Wenn also auch die Gründung der Annales, die sich seit 1945 'Annales. Économies. Societés. Civilisations.' nennen, keinen völligen Neuansatz darstellte, so verschaffte sie den neueren gesellschaftswissenschaftlichen Ansätzen doch ein Forum wie es bis dahin nicht existiert hatte. Aus diesem Grund wurde der Name der Zeitschrift zu einem Synonym für eine Historikerschule, die trotz vier weiterer epochaler Entwicklungsschübe in den kommenden Jahrzehnten bis heute existiert.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde aus dem Außenseiter eine mächtige Institution, die die französische Geschichtswissenschaft bis heute prägt. Die institutionelle Verankerung der Annales-Schule wurde gestärkt durch Gründungen von Forschungsinstituten, in denen die Ansätze weiter entwickelt werden konnten. 1947 gründete Febvre die Sixième Section an der 'École Pratique des Hautes Études', einem der wichtigsten außeruniversitären Forschungsinstitute in Frankreich, die gleichberechtigt neben der klassischen Geschichtsschreibung (Quatrième Section) stand. Zu ihr gehörte auch das 'Centre des Recherches Historiques'. 1963 kam das von Braudel gegründete 'Maison des Sciences de l' Homme' hinzu und 1972 wurde die Sixième Section dann in die selbständige 'École des Hautes Études en Sciences Sociales' (EHESS) umgewandelt. 1963 zogen diese Institutionen in direkte Nachbarschaft zu den Soziologen und Anthropologen. Die Adresse 54, Boulevard Raspail, 75006 Paris steht seit dem stellvertretend für die Annales-Schule.
Lars Boesenberg
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