Körper als Weiterentwicklung der Gender-Thematik

Die den meisten Gender-Ansätzen zugrunde liegende Trennung von sex und gender ist seit den späten 80er Jahren einer grundlegenden Kritik unterworfen worden, die in einer definitorischen Neubestimmung des geschlechtlichen Körpers bzw. in einer Erweiterung des Gender-Begriffs um sex mündete.

Die herkömmliche Gender-Konzeption beruht auf der definitorischen Abspaltung des Körpers mit dem Ziel, einer essentialistischen bzw. biologistischen Festlegung zu entgehen. Diese Entnaturalisierung von gender erscheint aber nur dann als adäquate Strategie, wenn ‚Natur’ als eine prädiskursive Konstante begriffen wird. Dieses ahistorische Verständnis von ‚Natur’ aber ist in jüngerer Zeit aus ganz unterschiedlichen Perspektiven angegriffen worden: Medizingeschichtliche Untersuchungen weisen nach, dass erst seit dem 18. Jahrhundert die Vorstellung von einer fundamentalen, nicht mehr bloß graduellen Differenz der Geschlechter aufkam und die Idee der Binarität der Geschlechter das antike "Ein-Geschlecht/Ein-Leib-Modell" ablöste (Laqueur). Zu dieser Zeit setzt sich auch erst die Idee vom "Körper als Wissensquelle über das Selbst" immer mehr durch (vgl. Nicholson, 191-195). Neuere technologische Entwicklungen wie die moderne Reproduktionstechnologien und der Cyberspace waren und sind der Anlass einer Neubestimmung der Grenzen zwischen Natur, Mensch und Maschine (Haraway). Nicht zuletzt stellen auch neuere Erkenntnisse aus der Biologie die bis dato biologisch begründete Binarität der Geschlechter in frage.

Die breiteste Rezeption innerhalb der Kulturwissenschaften erfuhren aber die Einwände gegen die Trennung von sex und gender, welche aus poststrukturalistischer Perspektive formuliert worden: Die kategoriale Unterscheidung von sozialem und biologischem Geschlecht reproduziere die traditionellen Dichotomien von Natur versus Kultur, von Körper versus Geist und laufe auf eine erneute Abspaltung des Körperlichen hinaus. Gerade diese Dichotomien aber weisen poststrukturalistische Ansätze als Rechtfertigungs- und somit Machtstrategien im Dienste einer hegemonialen Kultur, Klasse, Ethnie oder eines Geschlechts aus. In eben diese Richtung zielt die Kritik der US-amerikanischen Philosophin Judith Butler: Auch das biologische Geschlecht sei nur über kulturelle Symbolisierungen zugänglich; erst gender organisiere die Intelligibilität von Körpern. Die Vorstellung von einer biologisch fundierten Differenz hingegen stellt sich für Butler als Fiktion dar, der die Funktion zukomme, die Geschlechterdifferenz nachträglich zu naturalisieren und somit zu stabilisieren.

Kerstin Ciba

Literatur:

Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt/M. 1991.

Duden, Barbara: Geschichte unter der Haut. Ein Eisenacher Arzt und seine Patientinnen, Stuttgart 1991.

Haas, Stefan: Vom Ende des Körpers in den Datennetzen. Dekonstruktion eines postmodernen Mythos, in: Clemens Wischermann/Stefan Haas (Hg.), Körper von Gewicht. Der menschliche Körper als Ort der Selbst- und Weltdeutung, Steiner: Stuttgart 2000, S. 85-109.

Haraway, Donna: Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen, Frankfurt/M./New York 1995.

Laqueur, Thomas: Auf den Leib geschrieben. Die Inszenierung der Geschlechter von der Antike bis Freud, Frankfurt am Main/New York 1992.

Maihofer, Andrea: Geschlecht als Existenzweise. Einige kritische Anmerkungen zu aktuellen Versuchen zu einem neuen Verständnis von "Geschlecht", in: Geschlechterverhältnisse und Politik, hg. vom Institut für Sozialforschung Frankfurt, Frankfurt am Main 1994, S. 168-187.

Nicholson, Linda, Was heißt "gender"?, in: Geschlechterverhältnisse und Politik, hg. vom Institut für Sozialforschung Frankfurt, Frankfurt am Main 1994, S. 188-220.