Der Quellenkorpus

Ein einzelnes historisches Forschungsvorhaben muss sich auf Quellen als empirische Basis seiner Erkenntnisarbeit stützen. Die notwendige Zahl und der erforderliche Umfang an Quellenmaterial sind abhängig von der leitenden Fragestellung und lassen sich nicht allgemeingültig beziffern. Es gibt sinnvolle Forschungsvorhaben, die mit einer einzigen Quelle auskommen. Es gibt aber auch solche, für die viele Meter an Aktenmaterialien in Archiven bearbeitet werden. Für jedes Forschungsvorhaben ist es unabdingbar wichtig, präzise formulieren zu können, welche Quellen bearbeitet werden – und welche nicht. Daher ist es von entscheidender Bedeutung für eine effiziente Arbeitsorganisation, eine Unterscheidung von relevanten und unrelevanten Quellen treffen zu können. Häufig ist diese Entscheidung schwierig, da man sich nicht sicher ist, in welchen Quellen sich noch relevante Daten und Informationen befinden können. Die auch zeitlich erfolgreiche Durchführung eines Forschungsvorhabens setzt aber den Mut voraus, diese Unterscheidung zu treffen. Notwendig ist für diese die Angabe von überzeugenden Argumenten, um über Relevanz und (relative) Irrelevanz von einzelnen Quellen und Quellengruppen entscheiden zu können. Man muss die Grenze angeben können, an der entlang eine Unterscheidung von zu bearbeitenden Quellen und solchen, die man nicht bearbeitet, getroffen wird. Diese Grenzen legen fest, was als Quellenkorpus von einem Forschungsvorhaben bearbeitet wird. Ein Quellenkorpus bezeichnet mithin eine argumentativ begründete, in sich organisch aufeinander bezogene Materialbasis für ein bestimmtes Forschungsvorhaben.

Häufig, gerade bei mehrjährigen Forschungsvorhaben, zu denen auch Doktorarbeiten zählen, werden die Grenzen öfters neu gezogen, weil man Quellenmaterial findet, das verspricht, das Projekt entscheidend voranzubringen. Bei Finanzierungsanträgen, die relativ zu Beginn eines Vorhabens gestellt werden, erwarten die Gutachter und Gutachterinnen allerdings, dass ein Quellenkorpus benannt wird. Im Gegensatz zu einer bloßen Addition einzelner Quellenbestände lässt die Angabe eines Quellenkorpus erkennen, dass das Vorhaben stringent durchreflektiert wurde. Die begutachtenden Personen schätzen entlang der Nennung des Quellenkorpus in Verbindung mit Zeitplan und Methodenangaben die Erfolgsaussicht eines vorgeschlagenen Unternehmens ab. Aber auch für die eigene, zeitlich an Effizienz orientierte Arbeitsplanung ist es wichtig, sich genau darüber im Klaren zu werden, welche Quellenbestände gesichtet und wo die Grenzen gesetzt werden. In Zwischen- und Abschlussberichten lassen sich Drittmittelgeldgeber häufig von guten Gründen überzeugen, dass eine Verlagerung oder Erweiterung des ursprünglich benannten Quellenkorpus stattgefunden hat. Allerdings darf man nicht erwarten, dass sich darüber eine zeitliche Verlängerung der Förderungsdauer begründen lässt. Es ist daher unabdingbar, dass der Quellenkorpus mit Blick auf die zeitliche Durchführbarkeit eines Forschungsprojekt organisch auf die anderen, ein Vorhaben konstituierenden Faktoren benannt wird.

Stefan Haas