Die vage Idee als Ausgangspunkt des Forschens II

Die vage Idee zu Beginn unterscheidet sich von den Ideen zur Lösung von Problemen, die sich im Verlauf des wissenschaftlichen Prozesses ergeben. Zur Konstitution einer erfolgversprechenden und als relevant wahrgenommenen Forschung gehört aber auch, dass die vage Idee zu Beginn bereits einigen Kriterien genügt.

Zu diesen Kriterien gehören einerseits Faktoren einer subjektiven Wertzuschreibung (Relevanz, Spannung etc.) und andererseits solche einer effizienten Arbeitsweise (Erfolgsaussichten, Realisierbarkeit etc.). Um diesen Kriterien zu genügen, muss die vage Idee in eine konkrete Idee und dann in eine leitende Fragestellung umgearbeitet werden.

Um bereits in der Entwicklungsphase von neuen Ideen für Forschungsvorhaben erfolgreich zu sein, bedarf es mithin zweier Fähigkeiten des Forschers und der Forscherin:

§ Es bedarf einer Sensibilität und eines aufmerksamen Interesses für Entwicklungen in der eigenen gegenwärtigen Gesellschaft bzw. Kultur und/oder:

§ Man sollte die Fähigkeit entwickeln, Lücken, Entwicklungsmöglichkeiten oder Widersprüche im Forschungsstand zu erkennen.

Die Kriterien, diesen beiden Befähigungen zu genügen, sind aber ihrerseits ambivalent. Erfahrung scheint für beide eine hinreichende Voraussetzung zu sein, aber es ist keine notwendige. Sie kann helfen, den Forschungsstand adäquater einzuschätzen oder die eigene Gegenwart umsichtiger zu begreifen. Sie kann aber auch den Blick auf (radikal) neue Wege verstellen, die allzu häufig nur beschritten werden können, wenn traditionelle Formen von Problemlösungsstrategien und Auffassungsweisen bewusst missachtet werden.

Nicht selten in der Geschichte sind Erfindungen nicht von gut organisierten, umsichtigen Persönlichkeiten, sondern von vergleichsweise naiven Randgängern gemacht worden.

Festhalten kann man nur, dass, wenn im Wissenschaftsprozess eine Frage nicht beantwortet werden kann, ein neuer Weg gesucht und beschritten werden muss. Um diesen zu finden oder zu erschaffen (in beiden Formulierungen stecken bereits sehr unterschiedliche Auffassungen von der Rolle des Erkenntnissubjekts), bedarf es Kreativität und Phantasie – zwei Eigenschaften, die zur erfolgreichen Durchführung eines Forschungsvorhabens später mit Rationalität und Umsicht gepaart werden müssen, auch wenn sie sich vordergründig auszuschließen scheinen.

Die vage Idee zu Beginn entscheidet noch nicht über den Erfolg eines wissenschaftlichen Forschungsvorhabens, dieser hängt davon ab, was man im weiteren Arbeitsprozess aus dieser macht. Es gehört zu den wichtigsten Ausbildungselementen, zu lernen, wie ein solcher Ausgangspunkt in ein von der Scientific Community akzeptiertes, toleriertes und - am besten – gefördertes Projekt transformiert werden kann. Um eine vage Idee in eine leitende Fragestellung und ein rationalisiertes Forschungsvorhaben umzusetzen, bedarf es vor allem zweierlei: der Kanalisierung und Konkretisierung der eigenen Idee und der Auffindung von Anschlussfähigkeit an bestehende Forschungen.

Stefan Haas