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Wissen, mit dem wir die Welt besser gestalten
Wissenschaften produzieren Wissen, mit dem wir die Welt besser verstehen oder sie uns erklären können. Das ist die Version des Positivismus auf die Frage, welchen Sinn Wissenschaft hat. Vielfach wird einer solchen Haltung vorgeworfen, sie akzeptiere das Vorhandene, das Positive, aber nicht alles in der Geschichte sei zu akzeptieren, sondern die Geschichtswissenschaft sei auch der Ort der Einsicht in Fehlentwicklungen. Diese könne, indem sie die Ursachen und Bedingungen solcher Fehlentwicklungen untersucht, Konzepte und Ideen entwickeln helfen, die Welt besser zu gestalten. Beispielsweise können Analysen zu den Ursachen des Nationalsozialismus dazu beitragen, zu verhindern, dass Ähnliches wieder geschieht.
Die Frage, ob man aus der Geschichte lernen kann oder nicht, ist eine der Grundfragen der Geschichtswissenschaft seit dem 19. Jahrhundert. In der radikalsten Form einer positiven Beantwortung dieser Frage lassen sich aus der Einsicht in den Verlauf der Geschichte Gesetze ableiten, die angeben können, wie die Entwicklung in den nächsten Jahrzehnten sein wird. Oswald Spengler hat dergestalt mithilfe eines an der Mathematik gewonnenen Modells den vieldiskutierten „Untergang des Abendlandes“ abgeleitet. Im Marxismus wurde aufgrund der Einsicht in die Gesetzmäßigkeit der Klassenkämpfe die proletarische Revolution legitimiert. Die gegenteilige Position behauptet, Geschichte lasse sich nicht für die eine oder andere Partei instrumentalisieren.
Die Aussage, mithilfe wissenschaftlicher Erkenntnis ließe sich Welt in naher Zukunft besser gestalten, muss aber nicht soweit reichen, wie die zitierten Beispiele. Sie hat vielmehr auch eine ethische, gesellschaftskritische Konnotation von mittlerer Reichweite. Positionen dieser Form gehen davon aus, dass man aus der Erkenntnis, auf welcher Basis etwas funktioniert, sich bemühen könne, eine bessere, geschlossenere Antwort zu finden, was dazu beitragen soll, unser soziales Leben besser zu gestalten. Das setzt den Glauben voraus, dass Wissenschaft etwas mit dem Leben zu tun. Das ist nicht selbstverständlich. Die Phänomenologie beispielsweise, insbesondere ihr Begründer Edmund Husserl, leugnete dies, da er Alltagswissen und wissenschaftliches Wissen als streng unterschieden ansah. In dieser Form kann wissenschaftliches Wissen nichts zur Alltagspraxis beitragen, sondern existiert in einem eigenen Kosmos, in dem Regeln gelten, die in der Lebenswelt, dem Husserlschen Begriff für Alltag, keine sinnvollen Handlungen konstituieren können.
In der Postmoderne wird dieser Disput unter dem Stichwort „Ende der Aufklärung“ geführt. Aufklärung steht hierbei für die Ansicht, mittels vernünftigen Denkens ein Wissen zu erlangen, mit dem wir die Welt demokratischer, gerechter und sozialer gestalten können. Der Bruch zwischen Befürwortern und Gegnern ist dabei nur hauchdünn. Beide sind für Menschlichkeit und soziale Gerechtigkeit. Beide verstehen aber etwas Anderes darunter. Befürworter der Moderne wie Habermas betonen den Konsens (zwei oder mehr Menschen finden durch vernünftiges Gespräch eine Problemlösung, die besser ist, als das was der einzelne findet), die Postmodernen wie Lyotard dagegen den Dissens (unterschiedliche Meinungen dürfen stehen bleiben und müssen nicht in einer gemeinsamen Antwort aufgehoben werden). Soziale Gerechtigkeit sehen die Modernen im gleichen Recht für alle verwirklicht. Sie betonen das Gemeinsame. Die Postmodernen betonen die Heterogenität und Ambivalenz, die Verschiedenheit. Nur wenn jeder anders sein darf, ist Gerechtigkeit und Freiheit möglich. Identitäts- und Differenzdenken findet sich auch in dieser Kontroverse wieder. Ob wissenschaftliche Erkenntnis die Welt positiv verändern kann, ist damit nicht geklärt. Jede Generation wird auf diese Frage eine eigene Antwort und eine eigene kulturelle Praxis findet müssen. Aus dem Willen heraus, mithilfe seiner Forschung die Welt ein Stück besser zu machen, ist noch nicht automatisch gesagt, in welche Richtung dies geht. Die angeführte aktuelle Kontroverse zeigt, dass es sehr unterschiedliche, sogar sich wechselseitig ausschließende Formen gibt, die gleichen Ziele zu erreichen
Stefan Haas
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