Kategorialanalyse

Die Kategorialanalyse geht davon aus, dass jeder historischen Arbeit

o ein bestimmtes Bild von der Wirklichkeit,

o eine bestimmte Auffassung, was die zentralen verursachenden Faktoren in dieser Wirklichkeit sind – man könnte auch formulieren, welchen Begriff vom Menschen ein bestimmter Ansatz hat – und

o was als Wahrheit bzw. Richtigkeit angesehen wird. Was bedeutet, die Frage zu stellen, welche Rolle der Wissenschaftler bzw. die Wissenschaftlerin einnehmen und in welchem Verhältnis das Erkenntnis formulierende Medium, beispielsweise die akademische Abschlussarbeit, zur (untersuchten) Wirklichkeit steht.

Mithilfe dieser drei Fragen, lässt sich das theoretische Gerüst jeder Arbeit zunächst erschließen, auch wenn die Arbeit selbst dies nicht thematisiert oder auch der Autor bzw. die Autorin dies überhaupt nicht bewusst reflektiert haben.

Diese sich aus den drei Antworten auf die genannten Fragen ergebende Position lässt sich in einer Grundaussage zusammenfassen, von der aus alle weiteren Elemente der Theorie sich logisch ableiten lassen. Dieses Element wird als Kategorie bezeichnet. Beispielsweise ist für die Historische Sozialwissenschaft der Begriff Gesellschaft derart fundamental, dass er den argumentativen Ausgangspunkt zur Aufschlüsselung historischer Wirklichkeiten ebenso bietet wie den Bezugspunkt zur Frage nach der Bedeutung wissenschaftlicher Forschungstätigkeit. Die Art und Weise, wie das weitere Theoriegebäude entwickelt wird, folgt einer Logik, die selbst wiederum mit den genannten Faktoren stringent verbunden ist. Die Art der Verknüpfung, was hier als Logik verstanden wird, kann unterschiedlich sein, es gibt nicht eine Logik eines wissenschaftlichen Denksystems. Aber es gibt in jedem solchen System eine bestimmte Form, einzelne Elemente miteinander zu verbinden.

Mit einer solchen Auffassung von Wissenschaft als einem in sich kohärenten Gebäude, das zwar immer auch anders ausfallen kann, das aber nicht aus einer Summe von Einzelteilen, sondern aus einer in sich stringenten Verbindung der einzelnen Sachverhalte besteht, lassen sich auch normative Forderungen an wissenschaftliche Arbeiten stellen. Die Kategorialanalyse versucht, die gerade in der Geschichtswissenschaft weit verbreitete Tendenz zur bloßen Addition von einzelnen Punkten auf eine nachprüfbare, wissenschaftliche Ebene zu heben. Beispielsweise sollen Aussagen wie: „für einen bestimmten Sachverhalt sind politische, gesellschaftliche und ökonomische Faktoren relevant“ durch eine Aussage von jenem Typ ersetzt werden, der genau angeben kann, warum diese Faktoren und warum drei und nicht mehr oder weniger angegeben werden. Gleichzeitig will die Kategorialanalyse dergestalt die bestehenden Differenzen in den wissenschaftlichen Auffassungen analysieren und auf ihre Ursache in der jeweiligen Herangehensweise deutlich machen.

Stefan Haas